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V.0 Prädatoren, Erkrankungen und die körpereigene Krankheitsabwehr der Zecken

Auf dieser in den Fachbereich der Speziellen Zecken­kunde ein­führenden Internet-​Seite wird ein Überblick über die Fressfeinde, die Krankheiten und die Missbildungen der Zecken dargelegt und so soll das Wis­sens­werteste zu den bekannten Missbildungen und Infektionen und Infektionskrankheiten, die Zecken treffen können und zu der Zecken körpereigenen Erregerabwehr allgemein­ver­ständlich veran­schaulicht werden.


V.1 Der heimischen Zecken Fressfeinde

Bild-Dreiecks-Fettspinne

Abb. V.1: Ein Dreiecks-Fett­spinnen-Weibchen.
© Staat. Naturwis. Samm. Bayerns (Wendt, Ingo), CC BY-SA 4.0

Zwar wird in vielen Publikationen darauf hingewiesen, dass die Wirte von Zecken diese mit dem Maul oder Schnabel vom Körper absammeln, so sie dazu in der Lage sind, und die Lästlinge anschließend auffressen, jedoch gibt es kaum Literatur zur Frage, welche Tiere Zecken in der freien Wildbahn aktiv jagen, fangen und als Nahrung verwerten. Insbesondere aktiv jagende Spinnen sind Kandidaten dafür, Zecken in ihr Nahrungsspektrum einzubeziehen. Dennoch werden Beobachtungen dazu selten dokumentiert, aus Europa findet sich gerade eine Literaturstelle: Die thermophile, in kühleren Gegenden häufig menschliche Siedlungsbereiche bevorzugende und in vielerlei Habitaten lebende Haubennetzspinne, die Dreiecks-Fettspinne oder auch Wärmeliebende Kugelspinne genannte Art Steatoda triangulosa (Walckenaer, 1802) fängt mit Hilfe eines typischen Haubennetzes eine Vielzahl an Gliederfüßern, darunter auch Exemplare der Braunen Hundezecke, Rhipicephalus sanguineus. cit. Ault SK et Elliott KD [1979].


V.2 Angeborene Gebrechen der Zecken

Die Missbildungen

Bild-Krueppelzecke

Abb. V.2: Eine Ixodes ricinus-​Nymphe mit einem fehlenden rechten Bein IV, fehlendem Stigma rechts und einer Asymmetrie des Körpers.
© Chitimia-​Dobler et al. [2017]

Äußerliche Missbildungen findet man in der Gruppe der Zecken häufig, verglichen mit anderen Arthro­poden. Die häufigsten Anomalien kann man in all­gemeine Anomalien, zB eine Asymmetrie des Körpers, und in lokale Anomalien, zB Anomalien der Körper­an­hänge, Fehl­bildung des Capitulums, Anomalien des Exo­skeletts und Defor­mationen der Anal­furchen, unterteilen. Nymphen sind das von Anomalien am stärksten betroffene Lebens­stadium. Am häufigsten ist eine Bein­atrophie, gefolgt von Asymmetrie des Körpers und der angeborenen Defekt­bildung im Bereich der Beine. Von solchen Missbildungen sind 1,9% der durch flagging aufgesammelten Schild­zecken der Gattung Ixodes in Nord­deutsch­land betroffen. cit. Chitimia-​Dobler et al. [2017]. Allerdings waren in einer anderen Studie nur 0,62% der akzidentell nach Polen importierten, ⇒ herpeto­phagen Zecken auffällig miss­gebildet. cit. Nowak-​Chmura [2012]. Dieser geringere Wert lässt sich elegant mit dem Umstand erklären, dass Zecken üblicher­weise beim Blutsaugen mit ihren Wirtstieren verschleppt werden, also befähigt zum Blutsaugen sein müssen. In der genannten Studie wird die Häufigkeit von Missbildungen mit durchschnittlich 0,01 bis 1% angegeben, wobei eine Abhängigkeit von einer dem Gedeihen förderlichen Wirtswahl postuliert wird. Allerdings wird davon ausgegangen, dass die ⇒ morphologischen Abnor­malitäten die Bestimmung der Zecken auf Artniveau eher selten stören kann.

 

Der Gynandromorphismus

Nicht selten treten in der Gruppe der Schild­zecken Fälle von Gynandro­morphismus oder, deutsch, Schein­zwittertum, auf. Dies ist die am häufigsten gefundene ⇒ teratologische Veränderung von Zecken und scheint daher wenig pathogen oder behindernd für das Individuum zu sein. Gynandromorphen sind adulte Zecken, die eine Kombination von männlichen und weiblichen morpho­logische Merk­malen ausprägen. Solche Formen entstehen als Folge einer un­gleichen Verteilung der Geschlechts­chromosomen in die ent­stehenden Zellen während der Zell­teilung oder der Eliminierung von einzelnen Geschlechts­chromosomen aus der Zygote. Der Gynandro­morphismus kann bilateral asymmetrisch ausgebildet sein, wenn die Chromo­somen­verteilungs­störung früh in der Embryonal­entwicklung auftritt, oder mosaikartig in Fällen eines später auftretenden Zwischen­falls, Schein­zwittertum, nicht zu verwechseln mit Gynandro­morphismus, kann auftreten, wenn die Geschlechts­organe nicht vollständig oder asymmetrisch ausgebildet werden. cit. Keskin et al. [2012].

Eine Eigenheit der Zecken ist, dass Fälle des bilateral asymmetrischen Gynandro­morphismus nicht so selten sind. Als Ursache für diese Fehlbildung vermuten manche Experten den Einfluss starker Temperatur­schwankungen während der Entwicklung der Zecke im Ei oder eine Infektion der weiblichen (?) Geschlechts­drüsen durch Nema­toden. Es gibt jedoch zudem eine Viel­zahl von anderen Formen terato­logischer Veränderungen, einschließlich der asymmetrischen Duplizierung reproduktiver Strukturen und struktureller Miss­bildungen des ⇒ Hypostoms, der Taster, des ⇒ Basis capituli, des ⇒ Idiosomas und der Beine. cit. Dergousoff et Chilton. [2007]. Zu den Auswirkungen solcher Veränderungen auf die Fort­pflanzungs­fähigkeit einzelner Individuen und auf die Vitalität einer Zecken­population liegen keine Untersuchungen vor.


V.3 Infektionen der Zecken

Infektion mit dem Parasitoid Ixodiphagus hookeri (Howard, 1908) dt: Erzwespe

Bild-Ixodiphagus hookeri

Abb. V.3: Ixodiphagus hookeri.
© Plantard et al. [2012].

Synonyme:
Ixodiphagus caucurtei Buysson, 1912;
Hunterellus hookeri Howard, 1908;
Habrolepis caniphila Risbec, 1951.

 

Verbreitung & Bionomie: Diese Erzwespe ist ein klassischer ⇒ Parasitoid, dh ihre Larven fressen das Opfer bei lebendigem Leib leer und verpuppen sich dann in der einen schützenden Kokon bildenden Karkasse. Sie legt ihre Eier mittels eines Legestachels ausschließlich in Schild­zecken und zwar vermutlich nur in die Larven und Nymphen von Säugetier-​befallenden Arten. Die larvale Entwicklung der Wespe startet aber erst mit dem Zeitpunkt des Blutsaugens der Nymphe. In Deutschland sind 1,9 bis 3,8% der Ixodes ricinus-​Nymphen von den Larven dieser Wespe parasitiert. Aus einer Zeckennymphe schlüpfen bei 22°C nach 28 bis 70 Tagen ∅ 6,5 Wespen. Die adulten Wespen werden nur von Mitte August bis Ende September im Freiland gefunden. cit. Collatz et al. [2011]. Die Wespe scheint ein symbiotisches Virus zu nutzen, um das ⇒ Immunsystem der Zecke zu schwächen oder ganz auszuschalten. Zudem verschleppt die Wespe Wolbachien, eine Gattung gramnegativer, parasitisch lebender Bakterien. cit. Plantard et al. [2012]. Die Erzwespe ist mit der Ausnahme der Antarktis weltweit und vermutlich auch ⇒ ubiquitär verbreitet, lokal ist ihre ⇒ Abundanz von der Dichte der Schild­zeckenpopulation abhängig. Die Wirtsfindung erfolgt zuerst nach dem Geruch der Fäkalien der Wirtstiere der Zecken (sic!), in unseren Breiten besonders des Kots von Rehen, Rothirschen und Wildschweinen, und nach dem CO₂-​Ausstoß von terrestrischen Wirbeltieren. Erst danach, zeitlich wie örtlich, wird die Zecke vermutlich an Hand des Geruchs ihrer Ausscheidungen erkannt.

Wirte: Es werden Zecken aus den Gattungen Amblyomma, Dermacentor, Haemaphysalis, Hyalomma, Ixodes und Rhipicephalus befallen.

  • Bekannte Wirte:
  • Amblyomma tholloni Neumann, 1899
  • Amblyomma variegatum (Fabricius, 1794)
  • Dermacentor andersoni Stiles, 1908
  • Dermacentor nitens Neumann, 1897
  • Dermacentor parumapertus Neumann, 1901
  • Dermacentor variabilis (Say, 1821)
  • Dermacentor andersoni Stiles, 1908
  • Haemaphysalis bispinosa Neumann, 1897
  • Haemaphysalis concinna Koch, 1844
  • Haemaphysalis inermis Birula, 1895
  • Haemaphysalis japonica Warburton, 1908
  • Haemaphysalis leachi (Audouin, 1826)
  • Haemaphysalis leporispalustris (Packard, 1869)
  • Haemaphysalis punctata Canestrini et Fanzago, 1878
  • Hyalomma aegyptium (Linnaeus, 1758)
  • Hyalomma anatolicum Koch, 1844
  • Hyalomma asiaticum Schulze et Schlottke, 1930
  • Ixodes crenulatus Koch, 1844
  • Ixodes dentatus Marx, 1899
  • Ixodes hexagonus Leach, 1815
  • Ixodes marmotae Cooley et Kohls, 1938
  • Ixodes muris Bishopp et Smith, 1937
  • Ixodes persulcatus Schulze, 1930
  • Ixodes ricinus (Linnaeus, 1758)
  • Ixodes scapularis Say, 1821
  • Ixodes texanus Banks, 1909
  • Rhipicephalus appendiculatus Neumann, 1901
  • Rhipicephalus evertsi Neumann, 1897
  • Rhipicephalus oculatus Neumann, 1901
  • Rhipicephalus sanguineus (Latreille, 1806)


Infektionen mit Pilzen

Pilzinfektionen von Zecken werden im Gegensatz zu Infestationen mit anderen Infektionserregern in der Literatur relativ häufig beschrieben und mit Parasitismus an den Zecken in einen Zusammenhang gebracht. Dabei schwingt immer die Hoffnung auf die Entwicklung eines Verfahrens zur Senkung der ⇒ Abundanz von Zecken in einem definierten Habitat mit, meist unter dem Schlagwort „Biologische Vektorenkontrolle” subsumiert. Unklar ist allerdings in der gesamten bisherigen Literatur die Abfolge und damit die Kausalität der Erscheinungen - werden also im Sterben liegende oder in ihrer (Erreger-)Abwehr geschädigte Zecken von Pilzen befallen oder führt der zufällige Pilzbefall zum vorzeitigen Tod eines Zecken-​Individuums analog zu einer fatalen Infektions­krank­heit beim Menschen? Anders formuliert: Ist der aufgefundene Pilz als Saprophyt oder als Parasit s.l. zu betrachten? In einer dänischen Studie über den Pilzbefall von frei-​lebenden und vitalen Holzböcken (Ixodes ricinus) war die Häufigkeit von Pilz­infektionen von allen über den Jahresverlauf aufgesammelten Stadien insgesamt sehr gering, nur 0,44% und die der Nymphen 1,12%. Allerdings lag die Häufigkeit der Infektion in der Gruppe der „todgeweihten” Weibchen bei über 22%. Auf den Jahreslauf bezogen erwies sich der Herbst als die Jahreszeit, in der die Zecken besonders gefährdet waren, sich eine Pilzinfektion zuzuziehen. cit. Kalsbeek et al. [1995]. Anektotisch geblieben, jedoch durchaus bezeichnend ist die Beobachtung, dass Aspergillus ochraceus in frei-lebenden und experimentell infizierten Rhipicephalus sanguineus-​Weibchen eine tödlich verlaufende Krankheit hervorrufen kann, nachdem der Pilz die Zecke durch den Anus infiziert hat. Dies gelingt ihm aber nur unter sehr feuchten Umwelt­bedin­gungen, ein Habitat­zustand, den diese Trockenheit liebende Zeckenart auf längere Dauer nicht toleriert. cit. Estrada-Peña et al. [1990].

Hier wird nur auf jene Fälle eingegangen, in denen entweder in Öster­reich frei-​lebende Zecken von Pilzen befallen wurden oder hätten werden können oder aber Pilze in einer Labora­toriums­zucht von heimischen Zecken erhebliche Schäden hervorgerufen haben. cit. Bonnet et al. [2021]. Ich glaube, dass Chitin-​zerstörende Pilze wegen ihrer geringen Wirts­spezifi­tät sich nicht zur Vektoren­kontrolle eignen, da sie im Zuge eines massiven Ausbringens ins Freiland auch die Populationen aller anderer Arthro­poden schädigen würden.

Wirte: Es werden vermutlich Zecken aus allen angeführten Gattungen von den unten genannten Pilzen befallen. Diese Pilze sind vermutlich auch ⇒ ubiquitär verbreitet, ob sie auch so häufig in einzelnen Zecken­populationen auftreten, dass es zur Reduktion der Abundanz der Zecken kommt, ist nicht bekannt.

  • Bekannte Erreger:
  • Paecilomyces farinosus Brown & Smith, 1957
  • Lecanicillium lecanii Zare & W. Gams, 2001
  • Beauveria pseudobassiana oder B. bassiana Vuillemin, 1912
  • Aspergillus ochraceus Wilhelm, 1877
  • Vermutlich eher Saprophyten und Schädlinge:
  • Aspergillus parasiticus Speare, 1912
  • Penicillium steckii K.M. Zalessky, 1927
  • Scopulariopsis brevicaulis Bainier, 1907 - die var. hominis ist humanpathogen und daher in einer Zecken-Zucht als vom Menschen eingebrachte Kontamination zu betrachten.

V.4 Hyperparasitismus

Hyperparasitismus durch Artgenossen

Bild-Hyperparasit

Abb. V.4: Hyperparasitismus von Amblyomma rotundatum.

Auch Zecken werden von ⇒ Ektoparasiten geplagt. Eine interessante Fall eines ⇒ Hyperparasitismus beschreiben Labruna et al. [2007]. Eine weibliche, gerade blutsaugende Zecke der Schlangen-​befallenden Art Amblyomma rotundatum wird bauchseitig von einer Art- und Geschlechtsgenossin, die allerdings wesentlich kleiner ist, angestochen und ihrer Hämolymphe und/oder des Schlangenbluts beraubt. Obgleich die präsentierten Bilder keinen Zweifel am Durchbohren des Panzers durch den Hyperparasiten aufkommen lassen, handelt es sich doch um eine der wenigen Zecken-​Arten, die sich - hauptsächlich oder ausschließlich - ⇒ partheno­genetisch fortpflanzen. Die Bauch-​seitige Lokalisation der zwergen­haften, hyper­parasitierenden Artgenossin erinnert stark an die Orientierung eines Zecken­paars während einer Kopula.

 

Hyperparasitismus durch lymphsaugende Milben

Einen weiteren Fall von ⇒ Hyperparasitismus beschreiben Durden et al. [2015]. Eine weibliche Zecke der zentralamerikanischen, Leguan-​befallenden Art Amblyomma torrei wird zwischen dem Femur und der Tibia des rechten vierten Beins von einer Larve einer sehr großen Milbe, einer Leptus-​Art, Familie Erythraeidae, ihrer Hämolymphe beraubt. Auswirkungen dieses Hyperparasitismus auf die Zecke sind nicht bekannt.


V.5 Immunologie der Zecke

Eine immunbiologisch besonders interessante Beobachtung beschreiben Nakajima et al. [2003], die das Auftreten einer Immunreaktion bei Leder­zecken im Falle eines ⇒ Befalls der Tiere mit eubakteriellen Krankheits­erregern postulieren. Sie argumentieren, dass zumindest die Leder­zecke Ornithodoros moubata ein sehr effizientes Verteidigungssystem gegen Infektionen mit Mikroorganismen besitzt. Das mikrobiell wirksame Peptid Defensin, das in vier Isoformen vorliegen kann, ist das wirksamste Molekül in diesem humoralen ⇒ Immunsystem. In der Hämolymphe erhöht sich die Konzentration dieses Peptids in signifikanter Weise nach Infektionen der Zecke mit Bakterien, allerdings nur im Falle von Gram-​positiven Bakterien. Auch Zecken können sich also gegen Krankheits­erreger gezielt, spezifisch verteidigen, eine Fähigkeit, die nur sehr hoch entwickelten Tieren eigen ist.